Wie jedes Jahr haben alle Nominierten die Möglichkeit, sich mit Kommentaren an info@bigbrotherawards.at zu wenden. Wir veröffentlichen dann die Reaktionen unter der jeweiligen Nominierung.
Es gibt das Briefgeheimnis, es gibt das Telekommunikationsgesetz und es gibt die Menschenrechte, die das eigene Heim und die private Kommunikation unter einen besonderen Schutz stellen.
Kaum jemand schreibt noch einen Brief oder greift zum Telefonhörer - unsere Kommunikation läuft heute über Apps am Smartphone oder über unseren PC. Statt zu telefonieren chatten wir und so ist es nicht verwunderlich, wenn immer wieder neue Begehrlichkeiten entstehen, um mitzubekommen, was Menschen privat miteinander in Chats austauschen.
Das Geschäftsmodell einiger großer Konzerne basiert auf der Analyse dieser Daten - doch immer mehr Menschen wollen nicht mehr belauscht und ausspioniert werden. Immer mehr Menschen verschlüsseln[2] ihre private Kommunikation, um die Spionage aus ihren eigenen Wänden zu verbannen. Verschlüsselung, die selbst das BSI (das deutsche Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik), den Internetusern empfiehlt.[3]
Die EU-Kommission und Ylva Johansson sehen diesen Trend zum Selbstschutz nicht so gerne, denn wenn Informationen verschlüsselt sind, kann ein Überwacher nicht mehr einfach mitlesen. Daher will die EU-Kommission Onlinedienste zwingen, Inhalte ihrer Nutzer nach Missbrauchsdarstellungen und Grooming zu durchforsten – selbst in verschlüsselten Chats. [4]
Verantwortlich für den Verordnungsentwurf ist Ylva Johansson, EU-Kommissarin für Inneres. Die Rechtsstaatlichkeit der Pläne von Johansson wurden allerdings bereits innerhalb der Kommission in Frage gestellt. [5]
Verschlüsselung soll generell geschwächt werden, doch wenn eine Mauer eingerissen wurde, kann niemand mehr entscheiden, wer über diese Mauer eindringen kann.
Wenn jetzt die Verschlüsselung geschwächt werden soll, damit Behörden oder Provider mitlesen können, bedeutet dies, dass auch andere diese Schwäche - nicht nur zum Mitlesen - ausnutzen können.
Chatkontrolle: Wenn Software Väter als Pädophile verdächtigt
Zwei Männer machen auf ärztlichen Wunsch Fotos ihrer Kinder, kurz darauf ermittelt die Polizei. Das zeigt: Die EU-Kommission muss die geplante Chatkontrolle stoppen - denn selbst der Kampf gegen Kindesmissbrauch rechtfertigt nicht alle Mittel.
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Die Polizei hat die Ermittlungen in beiden Fällen eingestellt, für die zu Unrecht verdächtigten Männer haben die Vorwürfe aber langfristige Konsequenzen. Sie können nicht mehr auf ihre Google-Konten zugreifen und haben alle E-Mails, Dokumente, Kontakte und Fotos aus mehr als einem Jahrzehnt verloren. Denn so gerieten Mark und Cassio überhaupt erst ins Visier der Ermittler: Ihre Android-Handys speicherten die Bilder bei Google Fotos, wo sie automatisch als mutmaßliche Darstellungen von Kindesmissbrauch eingestuft wurden.
Wie ein EU-Kinderschutzgesetz die Presse- und Meinungsfreiheit einschränken kann
Der Deutsche Journalistenverband (DJV) befürchtet denn auch "die größte europäische Datenüberwachung aller Zeiten, die massiv in Grundrechte wie die Presse- und Meinungsfreiheit eingreifen würde". Der notwendige Kampf gegen schwere Straftaten dürfe nicht mit gravierenden Einschnitten in die Pressefreiheit erkauft werden, warnte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall.
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Zu befürchten steht auch, dass sich sogenannte "chilling effects" einstellen würden: Wer im Hinterkopf hat, dass seine öffentliche oder private Kommunikation ausgeleitet und von Strafverfolgern bewertet werden könnte, wird sich mehr zurückhalten als nötig. Die Folge wäre, dass der für die demokratische Gesellschaft wichtige Austausch von Meinungen im Diskurs leidet. So würde die Meinungsfreiheit durch die Hintertür eingeschränkt.
Chatkontrolle: rechtswidrig und unverhältnismäßig laut Wissenschaftlichem Dienst
Die geplante SpyPhone-Verordnung der EU-Kommission ist unvereinbar mit den Grundrechten, betont der Wissenschaftliche Dienst. Sie dürfte nicht in Kraft treten.
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Der Verordnungsvorschlag der EU-Kommission zum Kampf gegen sexuelle Gewalt an Kindern im Internet sieht "unverhältnismäßige Eingriffe" in die verbrieften Grundrechte der EU-Bürger vor und wäre hierzulande voraussichtlich verfassungswidrig. Dies schreibt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags in einer jetzt bekannt gewordenen Analyse des seit Monaten umstrittenen Gesetzesentwurfs.
Ylva Johansson (sozialdemokratische schwedische Politikerin und Kommissarin für Inneres in der Kommission von der Leyen) ↩︎
Ende-zu-Ende-Verschlüsselung
Unter Ende-zu-Ende-Verschlüsselung (englisch „end-to-end encryption“, „E2EE“) versteht man die Verschlüsselung übertragener Daten über alle Übertragungsstationen hinweg. Nur die Kommunikationspartner (die jeweiligen Endpunkte der Kommunikation) können die Nachricht entschlüsseln. ↩︎
Verschlüsselt kommunizieren im Internet
Für alle Internetnutzer und Internetnutzerinnen ist es wichtig zu wissen: die Kommunikation im World Wide Web findet generell und größtenteils unverschlüsselt statt. Internetnutzer und Internetnutzerinnen haben mittlerweile einige Optionen und Verschlüsselungstechniken einzusetzen, um Nachrichten, Telefonate oder E-Mails geschützt vor dem Zugriff unbefugter Dritter im Internet zu übertragen.
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Der Aufwand für Privatpersonen fällt in der Anwendung der Techniken immer geringer aus. Der Mehrwert für die eigene Privatsphäre ist dagegen sehr hoch. Es lohnt sich für alle Internetnutzer und Internetnutzerinnen, sich mit Möglichkeiten zur Verschlüsselung auseinanderzusetzen. ↩︎
Wie ein EU-Kinderschutzgesetz die Presse- und Meinungsfreiheit einschränken kann
Der geplanten Verordnung zufolge soll die EU alle Internetdienste, die in Europa aktiv sind, dazu zwingen dürfen, die Inhalte ihrer Nutzer auf Anweisung einer nationalen Behörde hin zu durchleuchten.
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Kritiker des Entwurfs sehen darin einen Angriff auf die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Messengern, denn die "Detection Orders" beziehen sich ausdrücklich auf jede Form der Kommunikation, ob verschlüsselt oder nicht. Wie die Anbieter verschlüsselte Nachrichten auf bekanntes oder neues illegales Material hin untersuchen sollen, ist unklar. Man arbeite hierfür "eng mit der Industrie, zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Wissenschaft zusammen, um die Forschung zu unterstützen", teilte die Kommission mit.
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Leaked opinion of the Commission sets off alarm bells for mass surveillance of private communications
A newly-revealed Opinion of a European Commission review board about their own colleagues’ upcoming proposal for a ‘Legislation to effectively tackle child sexual abuse’ shows strong concerns with the legislative proposal. Leaked by French media outlet Contexte yesterday (22 March), and dated 15 February 2022, the Opinion confirms the fears EDRi and 39 other civil society groups recently raised about the proposal which could destroy the integrity of private online communications across the EU, and set a dangerous precedent for the world.
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