Austria

Die Gewinner der Big Brother Awards 2003

[26.10.2003]

Aus mehr als 150 Nennungen zu den Big Brother Awards 2003 hat die Jury die unten angeführten Fälle ausgewählt. Da die Fälle in Art und Dimensionen sehr unterschiedlich gelagert sind, erfolgten Nominierungen nach verschiedenen Kriterien. Neben besonderer Tücke oder Alltäglichkeit des Falls sind auch die bereits eingetretenen negativen Folgen für die Gesellschaft ein Kriterium. In anderen Fällen wiederum war das soziale Schadenspotenzial einer technischen Anwendung oder Gesetzgebung der Anlass, die dafür Verantwortlichen zu nominieren. Ob die nominierten Fälle im rechtlichen Graubereich oder klar im Legalen angesiedelt sind - für alle erwähnten Personen und Firmen gilt, dass niemandem eine strafbare Handlung unterstellt wird.

Alle von der Jury nominierten Personen und Firmen waren zu den Awards 2003 ausdrücklich eingeladen sich auf der Bühne zu Ihrem Gewinn zu äußern. Gekommen ist leider keiner.

Die Kategorien

> Business und Finanzen
> Politik
> Behörden und Verwaltung
> Kommunikation und Marketing
> Lifetime Achievement
> People's Choice
 

Die Jury

> Peter Holzer, FFS
> Doris Kaiserreiner, q/uintessenz
> Gerald Pfeifer, VIBE!AT
> Richard Soyer, Rechtsanwalt
> Martin Wassermair, public netbase
 

Kategorie BUSINESS UND FINANZEN

> Salzburger Geschäftsleute am Rudolfskai   [Urkunde]

Die Lokalbetreiber am Salzburger Rudolfskai waren die ersten, dann forderten auch die Wirte am Bahnhof Vollüberwachung durch Videokameras. Doch an einer Videoüberwachung haben laut eigener Aussage weder die Stadt noch die Verkehrsbetriebe Interesse, da damit erhebliche Kosten und die Einstellung von Überwachungspersonal vonnöten sind. Die Stadtverwaltung setzt vielmehr auf bessere Ausleuchtung der betreffenden Gebiete, was - durch Studien belegt - das effizientere Mittel sei gegen Kriminalität vorzubeugen.

Die Jury merkt dazu an, dass es sich nach zahlreichen Beispielen von populistischem d.h. unvernünftigem Umgang mit Überwachungsmaßnahmen durch Stadtverwaltungen hier um ein Beispiel von angewandtem "Common Sense" handelt.

http://www.salzburg.com/salzburgerfenster/artikel/l3007.html
http://www.oevp-salzburg.at/news_detail.asp?NewsID=435

Update: 25.10.2003 Helmut Nemeth, ein Sprecher der Rudolfskai-Wirte möchte laut SN die Nominierung nicht überbewertet wissen: Big Brother am Rudolfskai

Die Jury hat sich für die Auszeichnung dieses Falles wegen seiner Alltäglichkeit und Beispielhaftigkeit für falschen Umgang mit neuen Technologien entschieden. Offenbar ohne rational zu überlegen, welches Mittel zur Erhöhung der Sicherheit am Zweckdienlichsten und Kostengünstigsten sein könnte, wurde sofort nach Totalüberwachung gerufen.

Kategorie POLITIK

> EU Kommission und Janelly Fourtou   [Urkunde]

Für die so genannte IP-Enforcement Directive. Es soll für Inhaber von Copyrights - also primär Software, Musik- und Filmindustrie - wesentlich einfacher werden, über den Internet-Provider an Stammdaten von Internet-Usern heranzukommen. Wieder wird ein US-Gesetz [Digital Millennium Copyright Act] auf EU-Ebene einfach nachvollzogen, obwohl die negativen Folgen bereits überdeutlich sichtbar sind. Die Lobby-Verbände von Film und Musikindustrie veranstalten regelrechte Treibjagden auf Tauschbörsenbenutzer, die immer öfter in Massenklagen enden. Das auffälligste daran ist dabei die Zahl der "falschen Treffer". Kaum eine Woche vergeht, in der nicht Fälle bekannt werden, wie ein Rentner, dem das massenhafte, illegale Anbieten von HipHop-Musikfiles vorgeworfen wird.

http://europa.eu.int/comm/internal_market/de/indprop/piracy/index.htm
http://www.fipr.org/copyright/draft-ipr-enforce.html

Den Ausschlag für die Jury, sich zwischen beiden EU- Nominierungen in dieser Kategorie zu entscheiden gab schließlich dieser einfache Tatbestand. Der Versuch, privaten Datenaustausch [nachweislich ohne Geschftsinteressen] via Tauschbörsen, per EU-Direktive mit Gefängnisstrafen zu bedrohen, wog für die Jury schwerer, als die offen gesetzwidrige Weitergabe von Passagierdaten. Der Zusatz der EU-Abgeordneten Janelly Fourtou markiert den "Worst Case" für einfache Internet-Benutzer.

Kategorie BEHÖRDEN UND VERWALTUNG

> Das Europäische Patentamt   [Urkunde]

in München, das wie oben erwähnt gegen geltende nationale EU-Legislaturen tausende Ideen- und Trivialpatente auf die neuen Informationstechnologien zugelassen hat. Mithilfe der EU-Kommission sollten diese grauen Patente legalisiert werden, auf seit Jahren in öffentlichem Gebrauch befindliches, öffentliches Gut sollen nun Patent-Claims angemeldet werden können. Im Falle von Software - die selbst ohnehin durch das Urheberrecht ausreichend geschützt ist - kommt dies in Konsequenz einem Programmierverbot für Programmierer in den verschiedensten Bereichen gleich. Vom One-Click-Shopping bis zum Fortschrittsbalken, vom Web-Shop über Hyperlinks bis zur Verwendung von Plugins ganz allgemein - diese für die Generation "Internet" alltäglichen Vorgänge sind patentiert.

Besonders erwähnt werden soll hier die Rolle der Abgeordneten Mercedes Echerer [Grüne] und Maria Berger [PSE], die in zwei maßgeblichen Parlamentsausschüssen zu verhindern bzw. zu reparieren versuchten, was ihre Kollegin Arlene McCarthy [PSE] in Zusammenarbeit mit der Kommission angerichtet hatte.

http://swpat.ffii.org/players/epo/index.de.html
http://futurezone.orf.at/futurezone.orf?read=detail&id=194510

Das Europäische Patentamt für seine Patent-Vergabepraxis der letzten Jahre, die wenig anderes war, als der Versuch, öffentliches Gut, Triviallösungen im Internet an finanzkräftige Anbieter umzuverteilen.

Kategorie KOMMUNIKATION UND MARKETING

> Die Post AG   [Urkunde]

Wer umzieht, braucht einen Nachsendeauftrag für Briefe. Fanden die Angaben dazu früher auf einer Postkarte Platz, so gilt es nun, ein A4-Blatt mit Geburtsdatum, Mailadresse und Telefonnummer usw. auszufüllen. Ganz unten steht: "Ich erteile meine Zustimmung, dass die Österreichische Post AG die oben angeführten Daten an die Postadress Austria GmbH bzw. andere zur Ausübung des Gewerbes der Adressverlage und Direktwerbeunternehmen berechtigten Unternehmen weitergibt. "Ich kann diese Zustimmung jederzeit widerrufen." Wer das Einverständnis zum Datenhandel auf dem Formular streicht, muss damit rechnen, dass das Formular am Schalter nicht angenommen wird. Eine Alternative zur Weitergabe all dieser Daten bietet das Formular der Post AG [Rückseite] , die noch dazu einziger Anbieter dieses Dienstes ist, nämlich nicht.

http://www.wienerzeitung.at/frameless/computer.htm?ID=M13&Menu=189167
http://www.post.at/presseservice_presseinformationen_1518.htm

Die schlichte Gemeinheit, auf sogenannten Nachsendeanträgen des einzigen Anbieters Post AG der Weitergabe von persönlichen Daten an Adresshandel und Marketing zustimmen zu müssen, da der Antrag ansonsten nicht behandelt oder vom Schalterbeamten abgelehnt werden kann, hat der Jury zur Entscheidungsfindung gereicht. Um zu widerrufen, muss ein eigenes Formular ausgefüllt werden.

Kategorie LIFETIME ACHIEVEMENT

> Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer   [Urkunde]

Hier hat die Jury im fünften Jahr der Awards einen unüblichen Schritt gesetzt. Angesichts dessen

All das hat die Jury bewogen, die Verleihung eines Lifetime Achievement für 2003 auszusetzen und auf das Lifetime-Achievement von 2002 zu verweisen - Elisabeth Gehrer.

Kategorie PEOPLE´S CHOICE

> Herold Business Data   [Urkunde]

Etwa 80 Prozent der zuletzt über 250 Einreichungen betrafen das Vorhaben der Telefonbuchfirma Herold.

 

hosted by.. quintessenz